17 Fragen an Benjamin Messerli – unser Top-Schiedsrichter in der Schweiz und international

Wir haben ein Interview mit unserem Topschiedsrichter Benjamin Messerli geführt, der uns spannende Einblicke in das Leben eines Hockeyschiedsrichters gibt und erzählt, wie er zu dieser Rolle gekommen ist. In letzter Zeit war Benjamin auch international stark gefragt: So leitete er das Finale des Nations Cup 2 in Oman zwischen Schottland und Ägypten, war als Feld- und Video-Schiedsrichter beim Final8 der EHL in Den Bosch im Einsatz und pfiff auf Einladung des niederländischen Hockeyverbands ein Spiel in der höchsten niederländischen Liga der Herren.

Einleitung & Erfahrung

Wie bist du eigentlich Schiedsrichter geworden? War das eine bewusste Entscheidung oder eher Zufall?
Ich habe bereits bei den Junioren angefangen, vereinzelt Spiele zu pfeifen. Dies hat sich dann neben dem Hockeyspielen immer weiter entwickelt, was auch dazu geführt hat, dass ich an erste Internationale Turniere eingeladen wurde. So kam es, dass ich irgendwann vor der Entscheidung stand, ob ich weiter Hockey spielen möchte oder in Zukunft mehr als Schiedsrichter unterwegs sein möchte.

Gab es einen Wendepunkt, an dem du gemerkt hast: Ich kann das auf Top-Niveau machen?
Dies kam erst mit der Zeit und der Zusammenarbeit mit diversen Umpires-Managern, die mir das Gefühl gegeben haben, dass alles möglich ist, wenn ich weiter hart an mir arbeite und dies auch möchte.

Welches Spiel oder welche Situation ist dir bisher am stärksten in Erinnerung geblieben – und warum?
Es ist schwierig, nur eine Situation herauszupicken. Es gab in den letzten 5 Jahren sehr viele positive wie auch negative Erfahrungen, welche geblieben sind. Das wichtigste ist, dass man seine Schlüsse daraus zieht und sich stetig weiterentwickeln will.

Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus, wenn du ein wichtiges Spiel leitest? Hast du feste Rituale oder Abläufe?
Nebst der körperlichen Vorbereitung ist die Erholung wichtig, vor allem in einer Woche mit mehreren Spielen. Hinzu kommt die taktische Vorbereitung. Ich schaue den bisherigen Saisonverlauf der beiden Teams an. Weiter bespreche ich mit meinem Team, was uns erwarten wird. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man überrascht wird. Es ist wichtig, keine Vorurteile gegenüber Teams oder Spielern zu haben und unvoreingenommen in ein Spiel zu gehen. Am Spieltag frühstücke ich meistens und erledige beispielsweise etwas im Haushalt, bevor ich mich auf den Weg zum Spiel mache. Eine Stunde vor Anpfiff bin ich am Platz. Direkt vor dem Match bereite ich mich mental und körperlich auf das Spiel vor.

Leidenschaft & Traum

Was macht den Schiedsrichterberuf für dich so besonders? Was motiviert dich immer wieder aufs Neue?
Die grösste Faszination ist das Hockey an und für sich. Das Hockey bringt 22 Charaktere, Kulturen, Religionen und politische Gesinnungen zusammen. Das Ziel eines Schiedsrichters ist es, die 60 Minuten möglichst ruhig und störungsfrei durchzubringen. Es sind 22 Spieler und vor allem 22 Individuen. Das finde ich das Schöne daran: Man muss Menschen mögen, führen und mit ihnen kommunizieren. Als Schiedsrichter ist man auch Hockey Fachmann, man muss den Hockey Sport verstehen und braucht Fachwissen. Man muss entscheidungs- und charakterstark sein. Dazu kommt das Sportliche: Man ist gefordert, es reicht nicht, einmal in der Woche den Vitaparcours zu machen. Zudem kann man sich selbst herausfordern. Es gibt kein Spiel, bei dem man gar keinen Fehler macht, es ist ein stetiger Lernprozess.

Was ist dein größter Traum als Schiedsrichter? Gibt es ein Spiel oder ein Turnier, bei dem du unbedingt einmal pfeifen möchtest?
Klar ist es der Traum jedes Schiedsrichters, einmal den Olympia- oder den WM-Final zu pfeifen. Ich durfte in der letzten Saison weitere Erfahrungen als Schiedsrichter International machen. Dort möchte ich mich bewähren und mich ohne Druck zu einer festen Grösse weiterentwickeln. Ich will möglichst viele Erfahrungen auf dieser Stufe sammeln, gute Leistungen zeigen und dann wird allenfalls auch der nächste Schritt kommen.

 

Fühlst du dich in der Hockeywelt ausreichend wertgeschätzt – von Spielern, Coaches und dem Publikum?
Ich glaube, dass Schiedsrichter in der heutigen Gesellschaft einen schwierigen Stand haben. Es fehlt an Wertschätzung, Verständnis und Vertrauen in die Schiedsrichter.  Im Allgemeinen ist es heute sehr einfach den Schuldigen im Schiedsrichter zu suchen, sei dies als Coach, Spieler oder auch Zuschauer.

Ist es nicht undankbar, vor allem bei Fehlern im Mittelpunkt zu stehen?
Doch, es kann ein undankbarer Job sein. Man wird in erster Linie nicht Schiedsrichter mit dem Ziel, mit Lob überschüttet zu werden. Wenn man das Gesprächsthema ist, dann oft oder nur, weil man einen Fehler gemacht hat. Wenn man einen super Match macht, wird das oft als selbstverständlich erachtet. Dessen muss man sich bewusst sein. Es braucht ein dickes Fell. Respekt muss man als Schiedsrichter immer einfordern, aber man darf keine Dankbarkeit seitens der Involvierten erwarten. Dies hört sich im ersten Moment abschreckend an, ist aber Realität und gehört zum harten Los der Schiedsrichter.

Mentoring & Nachwuchs

Welche Eigenschaften zeichnen deiner Meinung nach einen richtig guten Schiedsrichter aus?
Selbstreflektion, Durchsetzungsvermögen, Kommunikationsstärke, gute Ausdrucksweise und Zuverlässigkeit.

Was würdest du jungen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern mit auf den Weg geben, die gerade anfangen oder noch unsicher sind?
Sie sollten sehr selbstkritisch sein, was gut gelaufen ist und was nicht. Man muss den Willen haben, aus jedem Spiel zu lernen, sei dies durch ein Sachliches Feedback oder Eigenwahrnehmung. Wichtig ist es nicht überheblich zu werden, aber auch gewisse Dinge abzublocken oder zu ignorieren, was nicht immer einfach ist.

Was war der grösste Fehler, den du als junger Schiedsrichter gemacht hast – und was hast du daraus gelernt?
Die Kommunikation auf und neben dem Feld.
Es ist wie im Berufsleben oder im Alltag: Man kann nicht mit allen Menschen auf die gleiche Art kommunizieren. Ich bin sehr kommunikativ und gesprächig und habe teilweise auf die harte Tour lernen müssen, dass das nicht immer vorteilhaft ist. Man muss nicht alle Entscheidungen begründen und selber abschätzen, wem man auf dem Spielfeld wie viel und mit welcher Tiefe erklärt. Die Spieler sind da komplett unterschiedlich: Es gibt solche, die 60 Minuten lang gewissermassen am Schiedsrichter kleben und ihn zu manipulieren versuchen. Es gibt aber auch Spieler, die vom Typ her ruhig sind und am liebsten gar nichts mit dem Schiedsrichter zu tun haben wollen. Es ist die Aufgabe des Schiedsrichters, alle Spieler auf ihre Art und Weise abzuholen.

Schweizer Kontext & Entwicklung

Was ist aus deiner Sicht die größte Herausforderung für das Schiedsrichterwesen in der Schweiz?
Hier gibt es verschiedene Probleme, zum einen fehlt eine Struktur auf oberster Ebene, was dazu führt, dass jedes Wochenende neue Massstäbe angesetzt und Regeln anders ausgelegt werden. Zusätzlich fehlen Nachwuchsschiedsrichter in den Vereinen, die durch Mentoring und Beobachtungen gefördert und an das höchste Level herangeführt werden können. Dies hat auch damit zu tun, dass die Wertschätzung im Verband sowie bei den Vereinen keinen Stellenwert hat.

Wenn du morgen eine Sache im Umgang mit Schiedsrichtern in der Schweiz verändern könntest – was wäre der schnellste und effektivste Hebel („Quick Win“)?
Wir müssen erreichen, dass das Schiedsrichterwesen in der Schweiz beim Verband sowie den Clubs einen höheren Stellenwert bekommt und den bestehenden Schiedsrichtern Sorge getragen wird. Nur so kann eine ein breites Fundament aufgebaut und in Zukunft neue Top Schiedsrichter auszubilden.

Wie siehst du die Rolle der Vereine und des Verbands bei der Entwicklung und Wertschätzung von Schiedsrichtern?
Hier gilt es als Klub Verantwortliche oder auch als Verband die Schiedsrichter mehr zu schützen, sei dies durch das Hinweisen und Maßregeln von Fehlverhalten oder aber auch Massnahmen zu ergreifen, was im Umgang mit Schiedsrichtern ok ist und auf was verzichtet werden soll.

Persönlich & Überraschend

Gab es eine Entscheidung oder einen Moment auf dem Feld, der dir mal schlaflose Nächte bereitet hat?
Nein, das hat es so noch nicht gegeben. Ich glaube, es ist wichtig, durch Selbstreflektion zu erkennen, welche Fehler passiert sind, was menschlich ist und wie diese in Zukunft behoben werden können. Dann aber damit abschliessen und wieder nach vorne auf die nächste Herausforderung schauen.

Hattest du je den Gedanken aufzuhören – und was hat dich davon abgehalten?
Gedanken aufzuhören hatte ich noch nie, natürlich fragt man sich ab und zu warum man sich dies jedes Wochenende antut, aber meistens überwiegt der Gedanke den Spielern etwas zurückzugeben und die positiven Erfahrungen, die man macht.

Welcher Spieler oder Coach hat dich einmal positiv überrascht – und warum?
James Albery. Wir waren während des Spiels oft nicht gleicher Meinung, zusätzlich haben Sie das Spiel auch verloren. Nach dem Schlusspfiff kam er zu mir, hat sich bedankt, die Schiedsrichterleistung gelobt und sich für sein Verhalten entschuldigt.
Emotionen und Meinungsverschiedenheiten gehören immer dazu. Am Ende zählt, dass man fair bleibt und auch mal selber eingestehen kann, dass die Fehler nicht immer bei den Schiedsrichtern liegen.

Was würdest du dir als Schiedsrichter auf dem Feld von den Spielern wünschen? Und von dir selbst?
Wir müssen das Bewusstsein wieder stärken, dass die Schiedsrichter da sind, um den Spielern zu helfen, ein faires und gutes Hockeyspiel zu spielen und nicht um im Mittelpunkt zu stehen. Auch wir als Schiedsrichter machen Fehler und das wissen wir auch.